Sind wir schon unwiderruflich GAGA?!
Werden wir jemals wieder gedankenlos eine Türklinke berühren?
Werden wir unseren Kindern jemals wieder unbeschwert zugestehen, sich im Dreck zu
suhlen?
Wie lange wird es dauern, bis wir anderen Menschen wieder ohne
Vorbehalt und aufrichtig die Hand reichen oder sie in den Arm nehmen?
Gerade ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen: Als
ich im Supermarkt nach dem Joghurt griff – und es dann doch nicht nahm. Als ich
meine Tochter als gewohnten Spaß im Einkaufswagen drehen wollte – und es doch
ließ. Als ich die Eingangstür zu unserem Haus mit der Hand öffnen wollte – und davon
abließ.
Diese Nicht-Berührungen passieren jetzt schon automatisch. Sie
sind intrinsisch. Sie äußern sich wie kaum merkliche Stromschläge. Ich erwische
mich selbst bei einer verbotenen Sache und ziehe im letzten Moment zurück. Ein
wenig erinnert es mich an die Schulzeit, als wir heimlich hinterm Haus rauchten
und plötzlich die Schritte der Lehrerin ganz nah hörten. Zigarette aus! Flucht!
Es war Adrenalin pur.
Diese Ansammlung von vielen kleinen Schocks ist in der
Häufung verstörend. Es laugt aus. Dass es mich belastet, merke ich vor allem
daran, wie angespannt ich nach einem kleinen Einkauf oder Ausflug bin (oder lag’s
heute doch an der heulenden Ida, die das Prinzessin Lillifee Heft zuerst nicht berühren
und dann auch nicht HABEN durfte ...).
Die ständige Anspannung und Vorsicht, sobald wir das Haus
verlassen, macht auf jeden Fall etwas mit uns. Und mit den Kindern auch. Die
plötzlichen Schockreaktionen übertragen sich auch auf sie. Ich habe als Kind
auch einmal so etwas erlebt und es belastet mich bis heute: Es war kurz nach Tschernobyl.
Ich schlief im Jeep meiner Eltern ein und erwachte abrupt mit dem Schrei und
der Hand meiner Mutter, die mich hochriss um zu verhindern, dass mein Gesicht
einen schmutzigen Gartenhandschuh berührte. Dieses Erlebnis ist heute so
lebendig wie damals in meinem Kopf. Es hat mich gebrandmarkt.
Ich habe mir jetzt vorgenommen, den Kindern diese Geschichte
zu erzählen als Aufhänger zu diesem schwierigen Berührungsthema. Ich möchte
nicht, dass Anfassen nur noch Gefahr und Schock bedeutet in ihrem (und meinem)
Kopf. Ich will nicht, dass sie diese Gefühle mit sich herumschleppen bis sie
erwachsen sind (und viel Geld für einen Psychiater ausgeben müssen 😊).
Nein. Ganz im Ernst: Und ich will, dass sie (und ich) dieses
Thema weiterhin extrem seriös behandeln. Nur ohne selbst davon Schaden zu
tragen.
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